Gehirn aus, Autopilot an?! Eines von gängigen Vorurteilen mit dem Piloten heutzutage konfrontiert werden. Dabei ist Luftfahrt viel mehr als das! Man mag es kaum glauben, aber die Parallelen zur Operationellen Exzellenz, gängigen LEAN Management Werkzeugen sowie insb. der Kultur der kontinuierlichen Verbesserung sind eklatant.
Als ehemaliger Porsche Consulting Berater und Director Operational Excellence sowie Werksleiter, möchte ich als nunmehr Pilot unseren Arbeitsalltag mit einigen Beispielen in Relation zur Operationellen Exzellenz setzen, damit Sie die Parallelen nachvollziehen und eine Brücke zu Ihrem spezifischen Prozess schlagen können.
TPM
In diesem Beitrag möchte ich auf das Thema Total Productive Maintenance (TPM) eingehen. Dabei schneide ich offensichtliche Prinzipien nur an, während ich beispielhaft auf Besonderheiten in der Luftfahrt eingehe.
Der Grundgedanke, der die Basis für TPM bildet, lautet: „Geplante Stehzeiten sind besser als ungeplante!“ Alle Methoden, Tools und Abläufe leiten sich hieraus ab.
Stufe 1: Service- und Check-Intervalle Der TPM-Kern ist im Prinzip die vorbeugende Instandhaltung. Diese erzielt man im ersten Schritt, wie auch bei jedem Auto, mit der Einhaltung der vom Hersteller veröffentlichten Service-Intervalle. Prinzipiell funktioniert dies genauso für Verkehrsflugzeuge. Jede Airline braucht aber einen von der Luftfahrtbehörde genehmigten und überwachten firmenspezifischen Instandhaltungsplan.
In Abhängigkeit der Verwendungsweise gibt es kleinere und größere Wartungen bzw. Checks. Hierzu gehört z.B. der Daily-Check, den die „Maintenance“ ausführt, bis hin zum sog. D-Check. Dieser wird normalerweise, aufgrund des hohen Arbeitsaufwandes, in einer externen Werft durchgeführt und dauert mehrere Wochen. Meines Erachtens gehört aber, um den Instandhaltungskreis zu schließen, eben auch jeder Walk-Around und alle anderen Checks dazu, die z.B. die Piloten oder die Kabinenbesatzungen durchführen. Denn gerade diese regelmäßigen Überprüfungen helfen Auffälligkeiten schnell festzustellen und damit die Maschinenverfügbarkeit zu steigern.
Stufe 2: Trendermittlung & (Online-)Monitoring
Will man die vorbeugende Instandhaltung verfeinern und präventive Maßnahmen weder zu früh noch zu spät einleiten, dann kommt man nicht darum herum, die Instandhaltung auf eine datenbasiertes Ebene zu heben. Aus Daten können Trends des eigenen Prozesses in Bezug auf Abnutzungen, Verbrauch von Schmier- und Betriebsstoffen sowie Leistungs- und Einstellungsparameter ermittelt werden. Hieraus können schlussendlich, in Abstimmung mit dem Hersteller, spezifische Instandhaltungsmaßnahmen abgeleitet werden. Ich möchte besonders auf das Wort „Trend“ hinweisen. Einzelne Werte sagen wenig über den Zustand einer Maschine aus. Die Parameterentwicklung ist der Schlüssel zum Erfolg.
Wussten Sie z.B., dass (grob beschrieben) die Abnutzung der Triebwerke und des Flugzeuges im Allgemeinen in sog. Performance-Faktoren (OFP Fuel Bias) tagesaktuell bei der Flugplanung und im Flight-Management-System des Flugzeuges Berücksichtigung finden? So werden Verbräuche und Flugwege genauer berechnet. Die Trends finden somit durch diese Performance-Faktoren Einzug in die tagesaktuelle Flugplanung. Proaktiv!
Manche Parameter und Fehlermeldungen werden den Piloten nicht oder nur untergeordnet dargestellt, weil diese keinen unmittelbaren operationellen Einfluss haben. Diese Daten betreffen dann hauptsächlich die Maintenance und werden gemeinsam mit vielen anderen Informationen in Echtzeit an die Instandhaltungsorganisation übermittelt. So können bereits während des Fluges notwendige Maßnahmen in die Wege geleitet werden, um die Standzeit des Flugzeuges im Anschluss so gering wie möglich zu halten.
Übertragen wir das oben Beschriebene auf industrielle und unternehmerische Prozesse, und versuchen wir die spezifischen Erfolgsfaktoren zu ermitteln.
Faktor 1: Analysieren Sie Trends Ihrer Parameter
Bei der Ermittlung und Aufteilung wichtiger Parameter würde ich wie oben beschrieben, ebenfalls in zwei Ebenen verfahren. Eine relevante Parameter-Ebene für den Bediener und eine Ebene für die Instandhaltung. Ob die Aufarbeitung der Daten auf elektronische Weise oder in Papierform erfolgt, liegt am jeweiligen Prozess, an der Komplexität, an verfügbaren IT-Schnittstellen und an der Organisationsstruktur i.A. und kann an dieser Stelle nicht eindeutig beantwortet werden.
Wichtig ist m.E. eine relevante Visualisierung sicherzustellen, gleichgültig ob auf einem Bildschirm oder einem Flipchart. Hierdurch werden Trends schnell sichtbar und notwendige Maßnahmen können schnell eingeleitet werden. Wir befinden uns hiermit tatsächlich bereits mitten im KVP, dem kontinuierlichen Verbesserungsprozess, dem Herzen von LEAN im Bereich von TPM. Denn nur durch die Ermittlung von Zahlen, Daten, Fakten (ZDF) können Verbesserungen strukturiert erarbeitet und nachverfolgt werden.
Betrachten wir nochmal den Aspekt der Performance-Faktoren aus der Fliegerei. Dies ist auch auf jede Maschine und jeden Prozess übertragbar und spielt vor allem in der Produktionsplanung und -steuerung eine große Rolle. Ich bin mir sicher, dass Sie zur Berechnung Ihres Outputs in Ihren Systemen Durchlaufzeiten, geplante Stillstände und Downtimes berücksichtigen. Die Frage ist nur, wie verändern Sie im Laufe der Zeit diese Daten? Reaktiv? Oder proaktiv durch die Analyse von Trends? Bei einer reaktiven Anpassung laufen Sie dem Prozess immer hinterher. In der Fliegerei gibt es einen Spruch: „Sei Deinem Flugzeug immer gedanklich voraus (ahead), denn bist Du rückständig (behind), dann wird es doppelt schwer, dies wieder aufzuholen!“ Wo sind Sie? Ahead oder behind?
Dadurch ergeben sich folgende Vorteile: Früherkennung von Fehlern durch regelmäßige kurze Checks; Vermeidung größerer Folgeschäden; Reduzierung längerer Standzeiten; genauere Outputprognosen und somit verlässlichere Produktionsplanung und -steuerung; niedrigere Bestände durch zuverlässigere Planung und damit reduziertes Working Capital.
Fragen an Sie zur Anregung: Beinhalten Ihre Prozesse regelmäßige Checks in kurzen Abständen? Ermitteln Sie Trends Ihrer Parameter und visualisieren Sie diese? Haben Sie einen standardisierten Prozess, um auf Trends strukturiert proaktiv reagieren zu können?
Prozesse in Pakete aufteilen: Kommen wir zurück auf organisatorische Aspekte. Was ich täglich als Pilot als besonders wahrnehme, verglichen mit meinen Erfahrungen aus der Industrie, ist wie die Mitarbeiter den Prozess paketweise abarbeiten. Damit meine ich, dass der Gesamtprozess in kleinere Pakete aufgeteilt ist. Am Ende zusammengehörender Tätigkeiten wird das Paket z.B. durch eine Checkliste oder das „Klar-melden“ beim Cockpit abgeschlossen. Ein Vorteil ist, dass durch die Zerstückelung in kleinere Pakete es für jeden Mitarbeiter einfacher ist, bei einer etwaigen Unterbrechung, wieder fehlerfrei zurück in den Prozess zu finden. Darüber hinaus wird eine mehrstufige Redundanz bei den Überprüfungen geschaffen, weil der nachgelagerte Prozess auf die Klar-Meldung wartet, um wiederum seinen Prozess abzuschließen. Weiterhin können Zwischenstände einfacher mitgeteilt werden. Sind einzelne Pakete noch in Bearbeitung, können die Mitarbeiter zielgerichtetere Maßnahmen ergreifen oder spezifischere Hilfe anfragen.
Durch die Zuweisung von Arbeitspaketen und die Überprüfung durch eine Checkliste bzw. das „Klarmelden“ beim Kollegen schaffen Sie klare Verantwortungsbereiche. Niemand kann behaupten, dass er nicht wusste, was wann zu tun und zu überprüfen war.
Was hat das jetzt mit TPM zu tun? Eine ganze Menge! Denn was ist das Ziel der ganzen Standards, Pakete und Checks? Die Antwort ist einfach: In kurzen Abständen den einwandfreien Zustand des Flugzeuges, also Ihrer Maschine oder Ihres Prozesses zu überprüfen und damit die Verfügbarkeit zu gewährleisten.
Ich möchte dies wieder am Beispiel des Abfertigungsprozesses verdeutlichen, der vor jedem Flug mehr oder weniger ähnlich abläuft: Die Kabine hat für jede Position eine Checkliste. Anhand dieser werden Schutzausrüstungen und Equipment auf Vollständigkeit sowie z.B. der Druck der Notrutsche im grünen Bereich kontrolliert. Danach meldet jeder Kollege seine Station klar.
Der „Nicht-Fliegende-Pilot“ (abwechselnd der Kapitän oder der Co-Pilot) macht den sog. Walk-Around. Dabei läuft er einmal um das Flugzeug und überprüft es anhand eines Standards auf Schäden. Danach meldet er das Flugzeug klar. Währenddessen gibt der Fliegende Pilot die Daten in das Flight-Management-System ein. Ist der Kollege mit dem Walk-Around fertig, überprüft er alle Eingaben des Kollegen.
Was Sie vielleicht nicht wussten: Es gibt noch einen weiteren Walk-Around, nämlich den des Ramp-Agenten. Dabei vergewissert er sich, dass alle Türen geschlossen und dass das Equipment ordnungsgemäß vom Flugzeug weggestellt wurde. Danach meldet er dem Cockpit das Flugzeug mit dem Satz klar: „I confirm all doors and hatches are closed, all Equipment is removed.“. Jetzt darf das Flugzeug zurückgestoßen und angelassen werden.
Faktor 2: Klare Verantwortlichkeiten
Sie sehen, im Prinzip haben wir eine mehrfache Redundanz bei der Überprüfung der Pakete. Mit dem Wort „Verantwortlichkeit“ möchte ich die Brücke zur Industrie schlagen.
Die Verankerung von Verantwortlichkeiten sichert man in der Instandhaltung auf verschiedenen Ebenen ab. Zum einen durch einen klaren, standardisierten Prozess. Zum anderen durch die Zuweisung von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten (AKVs) für einzelne Arbeitspakete. So hat jeder Mitarbeiter seinen klaren Verantwortungsbereich. Durch die entstehende Übersichtlichkeit über den Prozessstatus kann nun jederzeit überprüft werden, ob Schritte vergessen wurden und zügig gegengesteuert werden.
Dadurch ergeben sich folgende Vorteile: Klare Verantwortungsbereiche mit klaren Ansprechpartnern; höheres Verantwortungsbewusstsein der involvierten Mitarbeiter; Transparenz darüber, welche Tätigkeiten von welchem Mitarbeiter durchgeführt wurden.
Fragen an Sie zur Anregung: Fühlen sich bei Ihnen bestimmte Mitarbeiter verantwortlich für bestimmte Maschinen? Ist bei Ihnen klar geregelt, ob, wann, wie und genau was an einer Maschine oder in einem Prozess bei Übergaben gecheckt werden muss?
Schnittstellen-Management
„Wenn die Firma wüsste, was sie weiß“? Der Spruch ist gar nicht so dumm, denn wenn etwas passiert, folgt meistens dies: „Haja, das war doch klar, habe ich doch schon öfters gesagt“. Man könnte von Klugscheisserei reden, nur, leider ist es tatsächlich so, dass bestimmte Themen in der Firma bekannt sind. Diese werden zwar auch angesprochen, aber meistens eben nicht in einem strukturierten Prozess. Das ist aber genau der Knackpunkt.
Ich möchte daher das Schnittstellen-Management aus der Fliegerei beleuchten, denn dieses fängt mit jedem Flug bereits mit dem Briefing an. Bereits hier liegt dem Cockpit eine Liste über alle Unregelmäßigkeiten des Fliegers vor. Die Liste beinhaltet alle noch nicht abgearbeiteten Punkte aus dem sog. Technical Logbook, in dem der technische Status des Flugzeuges dokumentiert ist. In diesem Buch findet sich die technische Historie. Da hier auch
Fehlfunktionen und Beschädigungen des Fliegers eingetragen werden, können die Piloten bei Übernahme des Flugzeuges auch zurückblättern, um sich so einen groben Überblick über jüngste Beanstandungen zu machen. Tritt ein Fehler häufiger auf, kann somit bereits die Crew während des Fluges zur Feststellung kommen, dass sich ein bestimmtes Problem mit hoher Wahrscheinlichkeit verfestigt hat. Auf jeden Fall ist der Überraschungseffekt in so einem Moment dann eher gering.
Faktor 3: Organisieren Sie Ihr Schnittstellen-Management
So etwas stelle ich mir in einer Ultra-Kurzfassung auch bei der Übergabe einer Maschine oder eines gesamten Prozesses vor, z.B. zwischen Schichten oder abwechselnden Teams. Unregelmäßigkeiten können ebenfalls in einem Logbook festgehalten werden. Jede Schicht könnte dann zu Anfang ihrer Arbeit ein Paar Seiten zurückblättern, um sich einen groben Überblick zu verschaffen. Darüber hinaus könnte jede Schicht die Zyklen der Maschine sowie die Gesamtstundenzahl eintragen und somit überprüfen, ob die Instandhaltung alle Maßnahmen und Checks des Wartungsplanes durchgeführt hat. Idealerweise schaut in definierten Abständen ein Techniker vorbei, um sich in einem strukturierten Prozess mit dem Prozessverantwortlichen auszutauschen, bestimmte Checks durchzuführen sowie diese im Logbook zu dokumentieren.
Im Übrigen: Wussten Sie, dass wir Piloten, bis das Technical Logbook an Bord ist, keinen Schalter bedienen dürfen? Das hat etwas damit zu tun, dass unklar ist, ob und wenn ja welches Bauteil beschädigt ist. Somit dürfen wir in Theorie noch nicht mal Strom auf den Flieger geben, um Licht anzumachen, denn was, wenn z.B. der Generator defekt ist?
Dadurch ergeben sich folgende Vorteile: Mehr Übersicht für alle Beteiligten über den Status und den Zustand des Prozesses; geringere Überraschungseffekte bei wiederkehrenden Fehlern; Reduzierung längerer Standzeiten
Fragen an Sie zur Anregung: Sind bei Ihnen Schnittstellen, wie z.B. Übergaben klar definiert oder sind sie vom Wissen einzelner Personen abhängig? Können Sie strukturiert auf die Historie einer Maschine zurückgreifen?
Sie haben das Meiste des beschriebenen bereits in Ihren Prozessen implementiert? Dann sind Sie sicherlich auf einem guten Weg. Dann kann ich bestimmt von Ihnen lernen.
Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie bei genannten Themen Defizite haben, freue ich mich darauf, mit Ihnen in Austausch zu treten und Ihnen womöglich helfen zu dürfen, sich zu verbessern. Kontaktieren Sie mich noch heute für eine unverbindliche Anfrage!
Herzlichst,
Ihr Moritz Hirscher
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